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Stanislaus Gajek - Entlassen in ein neues Leben

„…und ab gings mit der Bahn“

Stanislaus wird am 27. September 1922 in Zelejowa, Polen geboren. Als er zwei Jahre alt ist, stirbt seine Mutter und sein Vater heiratet bald darauf erneut.
„[D]er Vater war auch ein Zorniger, also der [Stanislaus] hat viele Schläge bekommen, er hat´s nicht leicht gehabt.“
Das Verhältnis zu seinem Vater scheint problematisch zu sein. Womöglich eine Ursache dafür, dass Stanislaus seine Heimat mit 17 Jahren verlässt. Ob die schwierige Situation für den jungen Polen Grund genug ist, allein in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen, oder ob er Opfer der Folgen der Besetzung Polens wird, bleibt unklar. Die Version, die er selbst später in einem Entschädigungsantrag beschreibt, deckt sich mit der Erinnerung anderer verschleppter Polen, die zum Arbeitseinsatz in Deutschland rekrutiert wurden:
„Als die Deutschen im Herbst 1939 Polen überfielen, war ich 17 Jahre alt, nach drei Monaten mußten wir Junge[n] und Mädel uns melden im Magistrat, wir wurden erfas[s]t […] und ab gings mit der Bahn […] [nach] Delmen nähe Metz.“

Pferdeknecht in Dinkirchen

Die nächsten Jahre bleibt Stanislaus als Zwangsarbeiter bei einem Bauern in der kleinen Ortschaft Dinkirchen südöstlich von Metz (heute Tincry in Lothringen).
„[I]ch wurde Pferdeknecht bei 10-12 belgische[n] Pferde[n], die waren so gro[ß] und ich klein, [ich] mußte schwere landwirtschaftliche Arbeiten verrichten, abends kamen wir in eine Bara[c]ke die wurde abgeschlossen.“

Gestapo-Lager Neue Bremm

1943 kommt Gajek nach Saarbrücken, wo er Panzergräben ausheben und nach Fliegerangriffen aufräumen muss. Er wird im sogenannten „Erweiterten Polizeigefängnis“ der Gestapo Neue Bremm inhaftiert. Die Angaben Gajeks hierzu sind nicht ganz eindeutig. In einer eidesstattlichen Erklärung Stelle gibt er an, dass er am 12. Januar 1944 aus politischen Gründen verhaftet und in das „Straflager Saarbrücken“ eingewiesen worden sei und ab 14. Juli 1944 in das Gefängnis Saarburg gekommen sei.

„Nicht aus dem Lager“

Im November 1944 kommen dann die Amerikaner immer näher und viele Häftlinge werden umgesiedelt, da die Lager und Gefängnisse der Nationalsozialisten geräumt werden. Stanislaus Gajek wird am 23. November ins Konzentrationslager Dachau überstellt. Er trifft dort am 26. November 1944 ein, bekommt die Häftlingsnummer 133479 und einen roten Winkel, der ihn als politischen Gefangenen ausweist, sowie den Eintrag „NAL“ (nicht aus dem Lager), das heißt er durfte zum Arbeitseinsatz nicht auf ein Außenkommando geschickt werden.
Am 2. Februar 1945 wird er aus dem so verhassten Lager entlassen.
„[Z]urück ins KZ wollt ich nicht, lieber einen Stri[c]k“

Mit einem Zugticket nach Erdweg

Parallel zu seiner Entlassung meldet ein Hof in Walkertshofen beim Arbeitsamt Dachau Bedarf an einem landwirtschaftlichen Arbeiter. Aufgrund seiner Erfahrungen in der Landwirtschaft wird Stanislaus dem Hof zugeteilt.
Mit einem „Zugticket“ ausgestattet fährt Stanislaus bei Nacht nach Erdweg, es schneit und seine Kleidung kann der Kälte kaum standhalten.

Er hat noch einen Zettel aufbewahrt, auf dem steht:
 
„An Herrn Wagner Joh.
Eine Reichsmark für Fahrgeld habe ich für Sie vorschußweise verausgabt  2.2.45
L. Winkler
Jocherstraße 3“


Zwei Männer aus Walkertshofen erbarmen sich des völlig entkräfteten fremden jungen Mannes und bringen ihn zum Hof der Familie Wagner.
Von nun an beginnt für Stanislaus ein besseres Leben. Er beginnt auf dem Anwesen zu arbeiten, wo zuvor schon ein französischer Zwangsarbeiter gewesen war. Bei seiner Ankunft leben zwei Frauen auf dem Hof, eine von ihnen ist die unverheiratete Maria Wagner. Sie ist acht Jahre älter als Stanislaus.

„Beim Wirt hätten sie feiern wollen…“

Nach Kriegsende, am 26. Juli 1946 heiraten Maria und Stanislaus. Ein Skandal zur damaligen Zeit. Eine Deutsche, die einen Polen heiratet, sogar der Pfarrer hetzt gegen solche Beziehungen.
„[D]ann hat sie [Maria Wagner] halt den Opa [Stanislaus Gajek] geheiratet. Und dann hat der Pfarrer von der Kanzel runter verkündigt:
        `Versündigen tun sich die, die sich mit den Ausländern abgeben!´“
Der Krieg ist bereits ein Jahr vorbei und trotzdem bleibt das Gedankengut der Nationalsozialisten scheinbar in den Köpfen der Menschen.
„[E]inen Polen [zu] heirate[n], des war ganz schlimm […]. Beim Wirt hätten sie feiern wollen und dann hat die Wirtin sie nicht rein gelassen, weil´s ein Pole ist.“
„Und wenn im Dorf was geklaut wurde, dann war es immer der Pole, derweil war´s […] ein Eingesessener.“
Am 23. Januar 1950 kommt Marias und Stanislaus´ Sohn Rudolf auf die Welt. Die junge Familie übernimmt den Hof und führt ihn noch bis 1992 weiter. Währenddessen arbeitet Stanislaus ab 1965 für 15 Jahre als Staplerfahrer bei der MAN.
Stanislaus ist 62 Jahre mit Maria verheiratet, bis Maria am 14. Februar 2008 verstirbt.
„[D]ie Oma hat immer gesagt […] `Die goldene Hochzeit erleb ich nicht´. Und derweil haben sie Diamantene gehabt dann.“
Heute sorgen Stanislaus´ Sohn und seine Schwiegertochter Maria für den über 90-jährigen. Er lebt bis heute auf dem Hof in Walkertshofen.

Verfasserin des Gedächtnisblatts:
L. E., 18-jährige Schülerin am Josef-Effner-Gymnasium und Teilnehmerin am W-Seminar Biographisches Schreiben in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt im Landkreis  Dachau.

Quellen:
Interview mit Rudolf Gajek, dessen Frau Maria und Blasius Thätter vom 2.4.2013
Bilder und Dokumente aus dem Familienbesitz der Familie Gajek
Landesentschädigungsamt, Stanislaus Gajek, Schreiben vom 17.11.1991 an Karl Horst Satzinger, Bad Tölz
Archiv des ITS Bad Arolsen

Zitate aus einem Interview mit Rudolf Gajek (Sohn), dessen Frau Maria und Blasius Thätter, einem Bekannten der Familie am 2.4.201




Thema: Biographieprojekt (Teilprojekt3)
Autor: L. E.
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Gemeinde Erdweg