Forschungsbeiträge filtern nach:
Ort
Thema
Autor
Eine Sauna – nicht nur für Flüchtlinge
Nach dem Krieg kamen sehr viele Flüchtlinge und Heimatvertriebene in die Dörfer. Menschen, die ihre Heimat verloren hatten, ihre vertraute Umgebung, ihr soziales Netzwerk und fast ihren ganzen Besitz. Die Bevölkerung stieg in Sulzemoos von 398 Einwohnern (1938) auf 626 (1946) an, in Einsbach von 239 auf 342 und in Wiedenzhausen von 423 auf 574.[i] Und es kamen immer mehr. Die Bürgermeister hatten die äußerst schwierige Aufgabe, die Vertriebenen und Flüchtlinge irgendwo unterzubringen. Jeder freie Raum wurde beschlagnahmt und wenn er noch so klein war. Auch in die schönen Wohnstuben, die nur an besonderen Festtagen betreten werden durften, quartierte man ganze Familien ein. Auch im Gasthaus Baumgartner kamen heimatlose Menschen unter.
Durch die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen war das Zusammenleben beengt. Die hygienischen Verhältnisse waren schlecht, weil es an Waschgelegenheiten fehlte. Der Sulzemooser Arzt Dr. Hertkorn hatte eine Lösung für dieses Problem: Sulzemoos brauchte eine Sauna! Während des Krieges hatte er als Soldat in Nordrussland Saunahütten gesehen. In dieser Zeit hatte er eigene Pläne für eine Finnische Sauna entwickelt. Im August 1946 stellte er einen Bauantrag an den Landrat.[ii] Darin betonte er, dass die Sauna vor allem ein Gewinn für die Flüchtlinge sei: „Bei meiner ärztlichen Tätigkeit in Sulzemoos hatte ich die Gelegenheit, zu beobachten, dass der weitaus größte Teil aller Flüchtlinge keine Gelegenheit hat, den Körper einer gründlichen Reinigung durch ein warmes Bad zu unterziehen. In vielen Fällen besteht nicht einmal die Möglichkeit einer gründlichen Abwaschung. Hautkrankheiten, wie z.B. Krätze gehören deshalb zum täglichen Bild der Landpraxis. Auch unter der einheimischen Bevölkerung macht sich eine Zunahme von Hauterkrankungen bemerkbar, wofür die Ursache sicher in dem engen, durch die Wohnungsverhältnisse bedingten Kontakt mit den Flüchtlingen, zu suchen ist.“[iii] Besonders die Kinder hätten darunter zu leiden. Auch andere Infektionskrankheiten würden sich durch das beengte Zusammenleben verbreiten. Dem könne man mit der Errichtung einer Sauna abhelfen. Dr. Hertkorn plädierte dafür, dass in jeder größeren Stadt, in der sich viele Flüchtlinge befinden, eine Finnische Sauna eingerichtet werden sollte. Um dies zu ermöglichen, sei es sinnvoll, eine „Mustersauna“ zu errichten, die bereits in Betrieb ist, und zwar in Sulzemoos.
Das Gesundheitsamt, das den Antrag begutachten sollte, stand dieser Idee skeptisch gegenüber.[iv] Der Amtsarzt Dr. Nagel argumentierte, dass eine Sauna nur wenig zur Verbesserung der hygienischen und medizinischen Verhältnisse von Flüchtlingen beitragen würde, zumal Seife, Waschmittel und Brennmaterial zum Heizen fehlten. Zudem würde die Landbevölkerung einer Sauna voraussichtlich eher ablehnend gegenüber stehen und sie nicht nutzen. (Darin irrte sich Dr. Nagel gewaltig, wie weiter unten gezeigt wird.) Auch ein Zulauf von zahlungskräftigen Patienten „wie dies Dr. H. vielleicht erwarten möchte“[v], sei trotz Autobahnnähe nicht zu erwarten. Dennoch kam Dr. Nagel schließlich zu dem Schluss: „Wenn die vorerwähnten Voraussetzungen, nämlich ärztliche Überwachung und Auswahl der Badenden sowie gewissenhafte Beaufsichtigung erfüllt sind, muss ich die Errichtung einer Sauna wie von Dr. H. vorgeschlagen, ärztlich befürworten.“[vi]
Am 26. September 1946 erhielt Dr. Hertkorn jedoch einen ablehnenden Bescheid vom Bauamt: „Bei der derzeitigen Baustoffnot ist es leider nicht möglich, hierfür Baustoffe freizumachen.“[vii]
Zwei Jahre später wurde die Sauna gebaut. Es war die erste Sauna mit gleichzeitiger Heilbehandlung in Deutschland.[viii] Über dieses Ereignis berichtete auch die Presse ausführlich: „Unser Besuch bei der Eröffnung am letzten Freitag überrascht den jungen Arzt mitten in den letzten Vorbereitungsarbeiten. Eine Hitzewelle schlägt uns aus dem Innern des Bades entgegen, schnell werden noch Fußbodenroste verlegt, Ruhebänke zurecht gerückt, dann ist es so weit. Der Eröffnungstag bleibt den Frauen vorbehalten. Die ersten sechs Mädchen stehen schon lachend vor der Hütte und blicken erwartungsvoll hinter die Kulissen dieser für sie neuartigen Einrichtung. Manche werden vielleicht anfangs ein bißchen enttäuscht sein. Aber unser Doktor hat bewusst auf jeden Komfort verzichtet und eine Originalsauna […] bauen lassen.“.[ix] Zusätzlich gab es eine „Warm- und Kaltwasserduschanlage“.[x] Die Sauna war gut besucht, wie die Presse ein einem späteren Artikel berichtete: „Die neuerrichtete Sauna erfreut sich regen Zuspruchs. Während die ersten drei Wochentage in der Hauptsache für Patienten freigehalten werden, stehen die übrigen Wochennachmittage nach vorheriger Anmeldung der Allgemeinheit zur Verfügung.“[xi] Die Prognose des städtischen Amtsarztes, dass die Landbevölkerung der Sauna ablehnend gegenüber stehen würde, erwies sich als falsch. „Mir Junge – jeder! – warn jo neigierig! A jeder woid jo des erlem [erleben].“, erzählt ein Zeitzeuge. Ganze Schulklassen gingen hin, vor allem im Winter: „Do hots ghoaßen, heit geh ma in d‘Sauna. Statt am Sport, samma in d‘Sauna ganga. War recht guad.“, erinnert sich Jakob Brunner. Ungefähr 25 Schüler auf einmal hatten Platz. „Mir san dromghockt wie die Hühner, mir Buam alle. Mädel ned. D‘Mädel sind, glaub i, extra ganga.“[xii] In der Sauna gab es Umkleideräume und Duschen. Ein anderer Zeitzeuge erzählt: „I woaß bloß den Raum, wo ma dringhockt san, auf so na Bank und s‘Wasser neigschitt und dann is der Dampf hochganga. Dann war des richtig warm. Host natürle sauber gschwitzt, host ois rausgschwitzt, weils so hoaß war drin und hernoch host de abduschn kenna und wieder oziang.“ Ein Flüchtling betreute die Sauna, heizte und schüttete das Wasser nach. Seine Tochter, so erzählt eine Zeitzeugin, klatschte die Saunabesucher mit Zweigen ab. Daran erinnern sich die beiden männlichen Zeitzeugen jedoch nicht. Doch nicht alle haben diese Hitze vertragen, wie Zeitzeugen erzählen. „I war bloß a paarmals drin. Weil mir war des zvui. I hob des ned derpackt.“
Doch das Saunavergnügen war für die Sulzemooser bald wieder vorbei. Als Dr. Hertkorn nach ungefähr zwei Jahren wegzog, baute er seine Sauna ab und nahm sie mit.
[i] Bayerisches Statistisches Landesamt (Hg.): Historisches Gemeindeverzeichnis. Die Einwohnerzahlen der Gemeinde Bayerns in der Zeit von 1840 bis 1952. München 1954 (Beiträge zur Statistik Bayerns, Heft 192), S. 20f
[ii] Bauantrag einer Sauna am 2.8.1946, BezA/LRA 130170, Staatsarchiv München. Leider ist der Bauantrag in den Akten des Staatsarchivs nur unvollständig erhalten.
[iii] Ebd.
[iv] Vgl. Amtsärztliche Stellungnahme zur Errichtung einer Sauna vom 22.8.1946, wie Anm. 51
[v] Ebd.
[vi] Ebd.
[vii] Bescheinigung an Herrn Hertkorn zum beantragten Saunabau 26.9.1946, BezA/LRA 130170, Staatsarchiv München
[viii] Vgl. Die Sauna von Sulzemoos. In: Münchner Merkur, 29.11.1948
[ix] Ebd.
[x] Ebd.
[xi] Münchner Merkur – Aus dem Landkreis, 10.12.1948
[xii] Interview mit Jakob Brunner, wie Anm. 7
Thema: Flüchtlinge und Vertriebene
Autor: Dr. Annegret Braun
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Gemeinde Sulzemoos
Links
Eine Sauna für die Armen und Kranken (merkur-online, 7.11.13)Dokumente
Die Sauna von Sulzemoos, Münchner Merkur 1948Audiomaterial
"A richtige Finnische Sauna""A jeda hod des ned dapackt"
"Mit Ruaden an Körper obkladscht"