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Wilhelm Pflüger, ein Priester im NS-Widerstand (1906-1967)

Wilhelm Pflüger wurde am 9. März 1906 in Riesenfeld, heute Münchner Stadtteil Milbertshofen, als vierter von insgesamt acht Söhnen der Eheleute Karl Friedrich und Karoline Pflüger geboren. Sein Vater war Kaufmann, im Adressbuch Milbertshofen wird er als Tinten- und Gummistempelfabrikant und Kitthersteller benannt, wohnhaft Keplerstr. 28. Nach der Eingemeindung Milbertshofens 1921 nach München erfolgt die Umbenennung der Anschrift in Sailerstr. 28.

Wilhelm Pfügers Weg zum Priester

In Riesenfeld wuchs der junge Willi unter dem strengen Regiment eines tiefgläubigen Vaters auf; er verbrachte die ersten Jahre seiner Schulzeit bis 1916 in der Volksschule in München Milbertshofen. Bis 1921 besuchte er das Ludwigsgymnasium in München, danach fünf Jahre das Gymnasium Freising. Nach dem Abitur 1926 wurde er in das Priesterseminar in Freising aufgenommen. Er folgte damit dem kategorischen Beschluss seines Vaters, dass jeder zweite seiner Buben Priester werden müsse. Am 29. Juni 1932 erhielt Willi Pflüger im Freisinger Dom die Priesterweihe. Anschließend feierte er in St. Sebastian in München die feierliche Primiz mit seinem älteren Bruder Karl und dem Stadtpfarrer von St. Sebastian als Konzelebranten.

Einsatz als junger Seelsorger   

Am 16. Juli 1932 begann er seine berufliche Laufbahn als Koadjutor (Amtsgehilfe eines Geistlichen) in Rieden bei Starnberg. Weitere Aufgaben als Koadjutor folgten in Tacherting, Grassau und Lengdorf. Die erste Kaplanstelle bekam er am 1. November 1933 in Bad Reichenhall, und ab 15. Februar 1934 in Töging am Inn. Besondere Aufgaben sah er in der Aufbau- und Betreuungsarbeit der katholischen Jugend. Am 1. Juni 1935 kam er als Kooperator (Hilfsgeistlicher) nach Aufkirchen am Starnbergersee und schließlich am 1. Mai 1936 nach Inzell. Dort nahm er Kontakt zu Mitgliedern seiner früheren Pfarrei in Reichenhall auf und betätigte sich in einer Gruppe von Gegnern des Naziregimes. 1937 wechselte er als Kooperator nach Neufahrn/Freising; ab September 1938 zog er als Expositus (Geistlicher in eigenem Seelsorgebezirk) der Pfarrei Hallbergmoos in den Pfarrhof in Goldach ein.

Auflehnung gegen die neue Politik

Seine negative Einstellung zu den Nationalsozialisten brachte ihn schon bald in erste Schwierigkeiten. In dem „Fragebogen A, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher“, den er 1946 ausgefüllt hat, berichtete er aus seiner Zeit als Kaplan in Töging (1934) von Vorladungen vor das Landratsamt Altötting wegen Kanzelvergehen. Zweimal verwarnte ihn die Gestapo München und Berlin ohne Verhör. 1935 erhielt er eine Vorladung vor den Landrat in Starnberg, erneut wegen Jugendseelsorge in Aufkirchen a.W. (am Würmsee = Starnberger See), wo er ebenfalls verwarnt wurde. Diese Vorladungen und Verwarnungen gingen auch bei seinen folgenden Amtsstellen in Innzell und Goldach weiter, änderten sein Verhalten aber in keiner Weise. Besonders seine Tätigkeiten für die Jugend waren den NS-Stellen ein Dorn im Auge.

Pflüger schildert im Einzelnen Überfälle der HJ Mühldorf und Töging auf katholische Jugendvereine und den Präses, er berichtet von Schlägereien und Verunglimpfungen, dem Abreißen des Christuszeichens (1934), von Bedrohung der Christkönigsjugend in Aufkirchen (1935/36).

Jugendarbeit in Goldach

Auch nach seinem Einzug 1938 in Goldach widmete sich Wilhelm Pflüger ungeachtet der bisherigen Erfahrungen mit den Nazis intensiv der Jugendarbeit. Er gründete Theatergruppen für Kinder sowie Jugendliche und baute das Ministrantenwesen aus. Ein besonderer Schwerpunkt war die Förderung der vokalen und instrumentalen Kirchenmusik; er beschaffte für die Goldacher Kirche eine neue Orgel.

Ein konservativer Priester und eifriger Seelsorger

Wilhelm Pflüger war ein sehr konservativer Priester und eifriger Seelsorger. Seine Predigten waren oft deftig, er nahm kein Blatt vor den Mund und prangerte Missstände offen von der Kanzel herab an. Besonders der sonntägliche Kirchenbesuch war ihm sehr wichtig.

„Eine Predigt, die sich gewaschen hatte“ mit Folgen

Eine Episode aus der Zeit nach der Rückkehr aus der ersten Haft berichtet sein Neffe Fritz Pflüger: „Eines Sonntags erklärte er mir vor der Messe, ich solle nach dem Evangelium mit der Gemeinde Lieder singen, Marienlieder, denn es war Mai. Pfarrer Pflüger zog nach dem Evangelium mit den Ministranten vor das Kirchenportal. Dort waren im Friedhof die Honoratioren, bzw. diejenigen, die sich dafür hielten, zusammen mit dem Bürgermeister in reger Diskussion versammelt. Der Pfarrer hielt ihnen eine Predigt, die sich gewaschen hatte. Nach der Predigt mussten sie das Vaterunser beten und zum Schluss kniend den Segen empfangen. Am nächsten Tag fuhr eine Abordnung nach München und beschwerte sich beim Kardinal. Der Bürgermeister beschwerte sich bei der NSDAP-Kreisleitung, und so wurde Pfarrer Pflüger erneut verhaftet, blieb ohne Gerichtsurteil wochenlang im Gestapogefängnis“.

Widerstand und Kontakt zum „Harnier-Kreis“

In seinem Seelsorgbereich lag Schloss Birkeneck, mit dessen Patres der Herz-Jesu-Mission er sich gut verstand. Dort baute er zusammen mit anderen Gleichgesinnten ein antifaschistisches Netzwerk auf und aus. Helfer fand er unter Landwirten, Intellektuellen aus der Kreisstadt Erding, aus Wartenberg/Moosburg und aus München. Antrieb für seine Betätigung gegen die Nationalsozialisten war sein Bruder Heinrich, der sich schon 1936 einer Gruppe angeschlossen hatte, die sich in der Folgezeit als „Harnier-Kreis“ im Münchner Umfeld etablierte. Diese bayerisch-monarchistische Gruppe um den Rechtsanwalt Freiherr von Harnier gewann im Laufe der Zeit über 130 Mitglieder in ganz Bayern. Doch die Gestapo konnte Spitzel einschleusen. Im August 1939 rollten die Massenverhaftungen an.

Der „Schmied von Kochel“ fliegt auf

Am 16. August 1939 wurde auch Pfarrer Wilhelm Pflüger im Goldacher Pfarrhof verhaftet und in das Wittelsbacher Palais, das Gestapo-Hauptquartier in München, verbracht. Dort traf er seine sieben Brüder und seinen hochbetagten Vater. Jetzt ahnte er den Verhaftungsgrund. Nach und nach traf er eine Reihe seiner Freunde, die ebenfalls am gleichen Tag in einer groß angelegten Aktion verhaftet worden waren. Die von Harnier organisierte bayerische monarchistische Widerstandsbewegung, die unter dem Decknamen „Schmied von Kochel“ arbeitete, und der von Willi Pflüger mit initiierte katholische Widerstandskreis waren mit einem Schlag aufgeflogen. Aber warum?

Das Rätsel löste sich nach den ersten Vernehmungen. Ein Gestapospitzel hatte sich das Vertrauen eines im Widerstand tätigen Münchner Polizeibeamten erschlichen, arbeitete intensiv an der Herstellung und Verteilung von Flugblättern mit, wurde nach und nach zu Versammlungen eingeladen und war schließlich eine Art Verbindungsmann zwischen verschiedenen Gruppen. So konnte er unauffällig Namen und Adressen sammeln und an die Gestapozentrale melden.

Schutzhaft im Gefängnis Neudeck

Willi Pflüger kam in das Gefängnis Neudeck in „Schutzhaft“. Erst am 2. Dezember 1940 wurde er entlassen. Sein Bruder Luitpold kam mangels Beweisen kurz nach seiner Vernehmung im August 1939 auf freien Fuß. Auch der Bruder Bruno wurde im August aus der Untersuchungshaft entlassen, aber sofort zum Kriegsdienst eingezogen. Knapp ein Jahr später fiel er in Russland. Nur Heinrich Pflüger blieb bis zum Prozess am 16. Juni 1944 in Haft. Trotz vielfacher Gnadengesuche, vor allem von Seiten seines Bruders Hans, der als Soldat in Russland kämpfte, wurde keine Haftentlassung erreicht. Im Prozess vor dem Volksgerichtshof wurde Heinrich Pflüger am 16. Juni 1944 zu fünf Jahren Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, anstelle der beantragten Todesstrafe.

Die Kriegsjahre in Goldach

Wilhelm Pflüger war zwar im Dezember 1940 wieder im Amt in Goldach, jedoch stand er von Seiten der Partei nun unter ständiger Beobachtung. Seine Schultätigkeit durfte er von 1941 bis Kriegsende nicht ausüben, was er ignorierte. Trotz eindringlicher Ermahnung durch Gestapo und Ordinariat begann er sofort wieder Verbindung zu Gesinnungsgenossen aufzunehmen. Außerdem hielt er sich nicht an das Predigtverbot. Er begründete dies damit, dass er den Verkündigungsauftrag von seinem Bischof bei der Priesterweihe erhalten habe. Er lasse sich das Predigen weder von den Nazis noch von dem Generalvikar verbieten. Er war auch nicht bereit, sich zu verstecken. Da sich seine politische Einstellung nicht änderte, kam er, diesmal wegen Verweigerung des Hitlergrußes, vom 7. bis 15. November 1942 erneut in Polizeihaft. Der Priester war angesichts der Kriegslage vom baldigen Ende des NS-Regimes überzeugt und hielt damit auch nicht hinter dem Berg.

Haft im KZ Dachau

Am 28. Dezember 1944 wird Wilhelm Pflüger wieder verhaftet und am 9. Januar 1945 ins Konzentrationslager Dachau überstellt. In der alphabetischen Gefangenenliste wird er geführt mit der Nr. 137843.

Hierzu berichtet sein Neffe Fritz Pflüger: „Die Verbindung zur Familie, zur Pfarrei und zu seinen Freunden war jäh unterbrochen. In Absprache mit meinem Vater und einem Onkel, der in München bei einer Nachrichtenkompanie stationiert war, lieh ich mir von einem Schulkameraden eine HJ-Uniform und konnte so fast regelmäßig zu Onkel Willi, bzw. einem Vertrauten in der Poststelle des KZs, um so Post und Lebensmittelpäckchen von Großmutter abzuliefern. Kurierdienste machte ich schon länger, und so wusste ich, wie ich mich zu verhalten hatte.

Als die Amerikaner Augsburg eingenommen hatten, wollte die SS das KZ bzw. die noch übrig gebliebenen Gefangenen nach Garmisch bringen. Der Zug durch das Amper- und Würmtal war eine Tragödie. Wer nicht mehr laufen konnte, wurde erschossen […]. Vor dem Abmarsch aus Dachau steckte ein befreundeter Arzt, der dort als Sanitäter arbeitete, Onkel Willi kurzerhand in die Typhusstation. Diese wurde nicht geräumt, weil die Nazis eine Epidemie befürchteten. Als aber die Amerikaner das KZ befreiten bzw. besetzten, verhängten sie über die Typhusabteilung sofort eine Quarantäne. Das hatte zur Folge, dass jeglicher Nachrichtenaustausch unmöglich war. Die Angehörigen von Pfarrer Pflüger suchten nun mit Hilfe der Besatzungsmächte die Güterwaggons im KZ und die ’Todesstrecke’ in das Ammertal ab, um wenigstens eine Spur vom lebenden oder vom toten Pfarrer Pflüger zu finden. Nichts!“ „Eines Tags erhielt mein Vater in München einen Anruf vom Dachauer Pfarrer [vermutlich Friedrich Pfanzelt], dass Onkel Willi ihm über den Fahrer des Milchautos eine Nachricht hatte zukommen lassen. Die Amerikaner lehnten eine Entlassung ohne Aufhebung der Quarantäne ab. So wurde mit den Milchautofahrern vereinbart, dass sie einen Arbeitsanzug für Onkel Willi mitnehmen, ihn im KZ einkleiden und ihn dann zum Pfarrhof Dachau bringen sollten. So geschah es, dass Pfarrer Willi Pflüger aus dem befreiten KZ Dachau flüchten musste.“

Die Nachkriegszeit

„Er kehrte umgehend in den Pfarrhof Goldach zurück. Zusammen mit ehemaligen KZ-Gefangenen, die seine Haltung während der Nazizeit kannten, gründete er die VVN (’Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes’) und wurde deren Ortsvorsitzender“. Ebenso kümmerte er sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge und Vertriebenen im Landkreis Erding. Später musste er auf Drängen des Ordinariats aus der VVN wieder austreten, da diese als verfassungsfeindlich eingestuft wurde.

In München in St. Bonifaz fand ein Gedenkgottesdienst für die Verfolgten des Naziregimes statt mit Weihbischof Dr. Neuhäusler, dem Abt der Benediktiner und Pfarrer Willi Pflüger, der auch die Predigt halten durfte. Der Domchor führte mit Solisten, unter anderen Luise Pflüger, Sopran, Friedrich Pflüger Bass, und Musikern der Staatsoper und des Rundfunks das Mozartrequiem auf. Radio München (heute Bayerischer Rundfunk) übertrug den Gottesdienst. Von vielen seiner Wirkungsstätten kamen in der Folge Briefe an Pfarrer Pflüger in Goldach.

Der Pfarrhof wurde erneut von Menschen aller politischen Richtungen besucht, um gemeinsam Vorschläge für eine freiheitliche Zukunft zu erarbeiten. So waren der erste Wirtschaftsminister Loritz von der WAV, der spätere bayerische Kultusminister Dr. Alois Hundhammer, Mitglieder der Bayernpartei, der spätere Präsident des Landesentschädigungsamtes Dr. Jakob Auerbach, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde München und viele andere spätere Mandatsträger im bescheidenen Pfarrhof in Goldach. Der Bruder des Pfarrers, Heinrich Pflüger, übernahm das Amt des Vizepräsidenten des Landesentschädigungsamtes und wurde Mitglied des ersten Bayerischen Landtags nach dem Krieg. Wilhelm Pflüger lehnte eine angebotene Kandidatur für ein politisches Mandat ab.

Zeuge der Spruchkammer

Die Amerikaner inhaftierten den Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Goldach. Sie machten ihm den Prozess und luden Pfarrer Pflüger als Zeugen. Das Ordinariat München erteilte Pfarrer Pflüger ein Aussageverbot! An dieses Verbot hat er sich aber ebenso wenig gehalten wie an die früheren Predigtverbote. Das Spruchkammerverfahren gegen Pflügers Denunzianten, den Goldacher Bürgermeister Georg Sedlmeier, war in den Augen Pflügers eine reine Farce. Hier wurde sein Glaube an Gerechtigkeit, Schuld und Sühne schwer erschüttert. Vielleicht war dieses Ereignis sogar mit entscheidend für sein weiteres Wirken als Pfarrer, das geprägt war von Frustration, gepaart mit Eigensinn und Trotz. Die ablehnende Haltung seiner kirchlichen Vorgesetzten, deren Devise „Schwamm drüber“ er absolut nicht teilen konnte, belastete ihn schwer. Schon während der NS-Zeit war ja die Taktik der Kirchenvertreter oft die des Stillhaltens und des Arrangierens mit den Machthabern gewesen.

In seiner alten Wirkungsstätte in Goldach war Willi Pflüger nicht mehr so recht zufrieden. Ein Teil der alten Nazi-Seilschaften hatte wohl wieder Einfluss gewonnen und Pflüger wollte einen Wechsel; nach vielen Jahren als Nebenpriester endlich eine richtige, eigene Pfarrei. Er verfasste mehrere Bewerbungsschreiben um eine neue Pfarrstelle, aber alle wurden abgelehnt. Erst im Jahre 1951, nach dem Tod des Vierkirchner Pfarrers Andreas Brädl im September, erhielt er einen positiven Bescheid und freute sich auf seine neue Aufgabe.

Verdrängung der Lagerhaft

Wilhelm Pflüger hat über seine Zeit im Lager in Dachau nie etwas erzählt. Es hat ihn aber entscheidend sowohl physisch wie psychisch verändert. Sein Neffe berichtet dazu: „Im Gegensatz zu den Haftzeiten im Wittelsbacher Palais, in Stadelheim und Neudeck hat der letzte Aufenthalt im KZ Dachau meinen Onkel traumatisiert. Die KZ-Erlebnisse hat er nie aufgearbeitet. Von Seiten der Kirche oder sozialen Einrichtungen kam keinerlei Angebot für professionelle Hilfe. Er hat zweimal mit mir gesprochen, mehr aus Versehen rutschte ihm eine Bemerkung heraus, besonders während der Zeit des KZ-Prozesses in Dachau. Auf Nachfrage schilderte er seine Todesangst, die Todesschreie am Zaun oder beim Appell, die brutale unmenschliche Gewalt der SS-Schergen, der widerwärtige Gestank aus den Krematorien. Er war dann sehr aufgewühlt und verschloss sich wieder wie eine Muschel. Ich musste ihm versprechen, mit niemanden darüber zu sprechen.“

Willi Pflüger als Pfarrer in Vierkirchen

Fritz Pflüger berichtet: „Ende 1951 fuhr ich Onkel Willi, der keinen PKW-Führerschein hatte, nach Vierkirchen. Er wollte sich Pfarrhof und Kirche anschauen und sich in ruhigeres Fahrwasser zurückziehen.“

Willi Pflüger ging seine Aufgabe in Vierkirchen im Landkreis Dachau recht energisch an. Im Mai 1952 weihte er drei neue Glocken, welche die im Krieg abgegebenen ersetzten, und  kümmerte sich um Instandsetzungen der Kirche. Am 1. Mai 1953 kam Bruder Luitpold für zwei Monate nach Vierkirchen. Er war bis zu seiner Verhaftung 1939 Kaplan in Weichs gewesen. Lange nach Kriegsende war er in russischer Gefangenschaft und wurde nun im Vierkirchner Pfarrhof aufgenommen, ließ sich verwöhnen, half seinem Bruder in der Seelsorge und zog nach völliger Genesung nach München.

Pflüger führte einige Neuerungen in der Liturgie ein und legte sich auch mit dem Kirchenchor an. Er entließ die Organistin, Frl. Roth und einige Sänger, darunter den Bräu Adolf Hilg, möglicherweise wegen dessen NS-Vergangenheit.

In seinen Predigten schlug er harsche Töne an, bald geriet er in Konflikte mit einigen Vierkirchnern.  In einer Qualifikation vom 18. November 1953 durch Prälat Pfanzelt sagt dieser u.a.: „Das unbeherrschte Temperament des H. Pf. Pflüger, das sich absolut nicht beeinflussen lässt, macht seine ganze Arbeit zunichte und ist für viele Grund genug zu einer vollen Aversio [Abwendung] im christlich praktizierten Leben. Drum die Bitte videant consules [die Vorgesetzten sollten achten, dass kein Schaden entsteht]. Dachau, 18. Nov. 1953.“

Die letzten Jahre Wilhelm Pflügers

Zermürbt von den Anfeindungen resignierte der Pfarrer am 28. Februar 1954. Auch seine Gesundheit war durch die Folgen des KZ-Aufenthalts schlecht. Der Kreis seiner beharrlichen Gegner war eher klein. Er hatte durchaus auch einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich. Positive Schreiben um seinen Verbleib vom Burschenverein Pasenbach, deren Präses er war, sowie von der Kirchenverwaltung, dem Frauenbund und dem Jedenhofener Mesner konnten ihn nicht umstimmen. Anfang März fuhr der Mesnersohn von Vierkirchen seinen Hausrat mit Traktor und Anhänger nach München. Sein Nachfolger, Pfarrer Wolfgang Lanzinger notierte dazu in der Pfarrchronik: „Nur 2 Jahre hatte H. H. Pfr. Pflüger Wilhelm in Vierkirchen gewirkt. Arge Missstimmigkeiten mit einem kleinen Teil der Bevölkerung ließen ihn auf die Pfarrei Vierkirchen verzichten.“

Vikar in Elbach-Miesbach

Ab 1. September 1954 war er dann Vikar in Elbach-Miesbach. Mit ihm ging seine Vierkirchner Haushälterin Katharina Kremmel, die ihm bis zu seinem Tode treu blieb. In Elbach war er beliebt, blieb bis zum 1. Oktober 1956 und ließ sich dann wieder aus gesundheitlichen Gründen in den zeitlichen Ruhestand versetzen.

Kommorant (Ruhestandsgeistlicher) in Ellbach bei Bad Tölz

Ab 19. Juni 1957 war er Kommorant (Ruhestandsgeistlicher) in Ellbach bei Bad Tölz. In Ellbach wohnte er zusammen mit seiner Haushälterin Kathi Kremmel und ihrer Tochter Marie zunächst im Pfarrhof, später, von 1962-1967 im eigenen Haus im Nachbarort Greiling.

Am 23. Mai ersuchte er aus Gesundheitsgründen um Entlassung aus dem Amt in Ellbach, was ihm mit Wirkung vom 1. August 1967 auch gewährt wurde. Pflüger wohnte zuletzt in Garching/Alz, Futakerstr. 12 und verstarb am 12. Oktober 1967 im Krankenhaus Altötting. Seine letzte Ruhestätte fand er vier Tage später im Nordfriedhof München.

Vor allem zwei Dinge haben sein Leben vor und nach dem Krieg geprägt: die zu angepasste Haltung der Katholischen Kirche während der NS-Zeit und die seiner Meinung nach ungerechte und nachsichtige Behandlung der Täter beim politischen Neubeginn.

 

Quellen:

Fritz Pflüger: Biografische Skizzen über meinen Onkel, Pfarrer Wilhelm Pflüger, Brief vom 12.11.2010
AEM, Fragebogen vom Juli 1946, Buchstabe P, PA-P III 1327; Personalakt des Priesters Wilhelm Pflüger; Schematismus d. Geistlichkeit
Stadtarchiv München: Polizeilicher Meldebogen B 251.
BayHStA, Monatsberichte des Regierungspräsidenten in München,  StK 6695 und StK 6671
Archiv KZ-Gedenkstätte Dachau
Pfarrchronik Vierkirchen, April 1954
Zeitzeugen: Fr. Magdalena Pflüger München

Literatur:

Ulrich von Hehl, Christof Kösters, Petra Stenz-Maur und Elisabeth Zimmermann: Priester unter Hitlers Terror, Paderborn 1996
Christine Maria Förster: Der Harnier-Kreis, Paderborn 1996
Wilhelm Seutter von Lötzen: Bayerns Königstreue im Widerstand, Erinnerungen 1933-1964, Feldafing (1978?)
Georg Schwaiger: Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der Nationalsozialistischen Herrschaft, Regensburg 1984
Gustl Müller-Dechent: Widerstand in München. Die Vergessenen, Salzgitter 2004



Thema: Biographieprojekt (Teilprojekt3)
Autor: Helmut Größ
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Gemeinde Vierkirchen

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