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"Ich habe mein Leben lang KPD gewählt - oder gar nix!" - Franz Klein (1906-1977) 

Mein Großvater war vor, während und nach dem Krieg unter der Bezeichnung
„Der Kommunist Klein“ in Dachau ein stehender Begriff.
Er wurde von den Nazis als e r s t e r Dachauer verhaftet und war
zwischen 1952 und 1956 der l e t z t e Vertreter der KPD im Dachauer Stadtrat.

Verhaftung

Das Anwesen Burgfriedenstraße 7 gehörte 1933 dem Katholischen Gesellschaftshaus Dachau e.V. Die Räumlichkeiten waren an das Arbeitsamt vermietet. Zur Zeit der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland wurde dort eine Suppenküche für Arbeitslose errichtet. Mittags und abends erhielten Erwerbslose hier kostenlos einen Teller Suppe sowie ein Stück Brot. Die Suppenküche in der Burgfriedenstraße befand sich in der späteren Werkstatt des Spenglermeisters Blümel. Franz Klein berichtet, dass sich zu jeder Speisung ca. 150 Arbeitslose einfanden; er war immer da. Von der Suppenküche aus sah man durch ein Fenster auf die Burgfriedenstraße. Alle haben „gerade ihre Suppe gelöffelt“, Franz schaut hinaus und sieht drei Polizisten mit „aufgepflanztem Gewehr“ und zwei Wolfshunden kommen. „Die wichtigsten Genossen saßen um mich herum und ich sagte, ‚gebt‘s Obacht, die holen mich. Hernach, wenn die mich dann geholt haben, setzts ihr euch auf die Räder und fahrt überall herum und sagt‘s allen, ich bin verhaftet worden und wer irgendwie meint, der soll sich absetzen.‘ “ „Und die (Polizisten) kamen rein: ‚Herr Klein, Sie sind verhaftet!‘ Wie ich es vorausgesehen hab. Und da haben sie mich da hinten ... ins Gefängnis (gebracht), oben im Schloss war doch damals (das) Gefängnis. Ich war der Erste.“ Auf die Frage nach den Haftbedingungen antwortete mein Großvater: „Im Gefängnis, überall immer anständig, weil das waren ja noch die alten Gefängnisbeamten da drin. Du hast Dein Essen gekriegt und wir haben auch rauchen können und alles.“ „Von der KPD wurden dann ca. 100 Leute verhaftet, von der SPD ein Teil und von der (Bayerischen) Volkspartei, der heutigen CSU, die führenden Köpfe.“

Einlieferung

Nach 50 Tagen Haft im Dachauer Gefängnis wurde Franz Klein ins Konzentrationslager Dachau gebracht: „Zu Fuß, es waren drei Mann von da oben (Amtsgerichtsgefängnis Dachau). Einer, den hab ich gar nicht gekannt und einen, den hab ich gekannt, aber der war gar nicht Kommunist, der war gar nicht bei uns, ich weiß nicht, warum sie den verhaftet haben.“ (Es handelte sich um Karl Späth, einen Hilfsarbeiter aus Dachau, der fast gleichzeitig mit Franz Klein verhaftet worden war, und um Franz Xaver Käufl, einen Schlosser aus Prittlbach, der ab 28.03.1933 in Haft gewesen war). „Und wir wurden mit Ketten zusammengehängt. Uns so sind wir durch Dachau geführt worden. (...) Den Berg runter, die Adenauer Straße (1933 hieß die spätere Konrad-Adenauer-Straße noch Freisinger Straße; zum Zeitpunkt des Interviews war sie bereits in Konrad-Adenauer-Straße umbenannt worden), runter bis an die Papierfabrik, dann die Ostenstraße runter sind wir zu Fuß mit drei Polizisten da runter marschiert.“ „Es waren Leute auf der Straße, die haben mich gesehen, die haben gerufen: ‚Franz, was ist denn das, was ist denn mit Dir?‘ “

Lagerleben

„... dann sind wir abgeliefert worden. Und dann haben wir uns ausziehen müssen und baden müssen und die Haare ganz runter geschnitten und dann sind wir hinter ins Lager geführt worden und eingewiesen worden. Und da waren lauter Kommunisten, die ich alle gekannt hab.“ „(Es) gab fast immer (Schläge), wenn Transporte kamen, aber bei uns drei nicht. Ich weiß nicht warum.“ „ ... ich kam in die erste Kompanie, 5. Block ...“ „Am anderen Tag ist dann schon Appell in der Früh um sechs gewesen und es wurde eingeteilt in Arbeitskommandos und dann ist‘s schon zum Arbeiten gegangen.“ „Im Herbst kamen dann Sozialdemokraten und Schwarze, also Bayerische Volkspartei und die Direktoren von den Arbeitsämtern, von den Krankenkassen, das waren meistens Sozialdemokraten, von den Gewerkschaften, Bonzen haben sie die genannt. Am Tag vorher hat die SS uns gesagt, morgen kommen eure Bonzen. Dann kamen sie mit ihren dicken Bäuchen. Der alte Böck ist auch gekommen, dem habe ich das Leben gerettet. Das waren lauter Leute, die im Büro gesessen sind, diese Direktoren von Krankenkassen und Gewerkschaften. Die waren alle 40, 50, 60 Jahre alt. Zu denen hat die SS gesagt: ‚Euch werden wir das Arbeiten lernen, ihr habt noch nie was gearbeitet.‘“ Sie mussten in Behältern, die mit Erde gefüllt wurden, einer vorne und einer hinten, im Laufschritt 100 m zurücklegen, den Behälter ausleeren und wieder zurücklaufen. „Das war keine Arbeit, das war bloße Schikane. So ging das den ganzen Tag. Die waren ja gemein, die SS. Vorne war ein dicker Direktor oder ein Funktionär und für hinten haben sie junge Leute, Kommunisten ausgesucht. Wie gesagt, es waren die erste(n) sechs, sieben Monate lediglich Kommunisten im KZ. (Die Kommunisten) waren doch jung und kräftig. (...) aber die Vorderen, die sind zusammengefallen, da sind viele draufgegangen. Herzschlag! Laufen Sie einmal so von der Früh um sechs bis abends um sechs!“ Von den über 200.000 Häftlingen, die zwischen 1933 und 1945 ins KZ Dachau eingeliefert wurden, erhielt mein Großvater die Häftlings-Nr. 1137. Er war der letzte Häftling, der im April 1933 eingeliefert wurde.

„Das Essen war damals nicht schlecht. Es gab eine Kantine und dort konnten wir uns kaufen, was wir wollten. Das Geld bekamen wir von Verwandten draußen. Wir mussten nur alles teuer bezahlen. Wenn draußen die Butter zwei Mark gekostet hat, haben wir drei Mark dafür bezahlt. Der Überschuss kam in die SS-Kasse und dafür wurden zu Weihnachten Geschenke für die SS gekauft. Alles war teuer.“

Dunkelarrest

„1933 war ich acht Tage im Arrest, in Dunkelarrest, ich hab Briefe rausgeschmuggelt, durch deutsche Arbeiter, die da drin gearbeitet haben. Ich hatte damals ein Mädel und die hat‘s ihrer Freundin gezeigt... Diese Freundin hatte einen Freund, der war bei der SS und dem hat sie alles weitererzählt. So ist das aufgekommen. Aber ich hatte Glück, es waren nur 8 Tage Dunkelarrest. Es war immer dunkel und einmal am Tag gab es Wasser und Brot. ... Ich hörte, wie in den anderen Zellen jeden Abend um 8 oder 9 Uhr zwei (SS-Männer) hineingegangen sind. Sie haben den Gefangenen die Hosen runtergezogen und mit dem Ochsen(fiesel) auf den nackten Arsch geschlagen. Das haben sie bei mir nicht gemacht, ich glaube, weil ich aus Dachau war, damit ich später nichts erzähl.“

Entlassung

„Weihnachten 34 wurde ich entlassen. In den ersten Jahren wurden Weihnachten und bei Hitlers Geburtstag immer 20, 30, 40 Häftlinge, je nachdem, entlassen. Weihnachten 1934 war ich unter den 20 Häftlingen ... das haben wir erst in der Früh beim Appell mitgeteilt bekommen. In der Früh um halb sechs, sechs standen wir draußen, dann wurden die Namen aufgerufen. Wir mussten uns dann in der Kammer vorne umziehen, dort waren unsere Kleider, ... wir mussten nur etwas unterschreiben. Es lagen für jeden drei Bögen Papier parat, die beschrieben waren, aber über den Bögen lag ein großer Bogen, der alles zugedeckt hat. Nur unten war frei für die Unterschriften. Sie sagten, ‚wenn ihr das unterschreibt, könnt ihr gehen‘. Wir haben nicht gewusst, was wir da unterschreiben, aber wir wollten doch raus!“ ... „Das haben sie uns ja auch gesagt: ‚Kein Wort, oder ihr seid wieder drin. Zweitmalige kommen nicht mehr raus.‘“

Untergrundarbeit

„... wir haben weiter gearbeitet (im Untergrund). Ich habe unter denen, die ich gekannt habe, gesammelt für die, die noch im KZ waren und das Geld deren Frauen gebracht. Die Frauen durften Geld rein schicken. Im Dezember 35 wurde Scherer verhaftet. Seiner Frau habe ich dann immer Geld gebracht und 36 im März hat mich einer von den Schweinen hingehängt. Ich musste zur Polizei in die Schleißheimer Straße. Dort waren zwei Leute von der Münchner Gestapo und noch vier andere Beamte. Und dann von allen Seiten: ‚Herr Klein, Sie haben Geld gesammelt, wir wissen das.‘ Sag ich: ‚Ich hab kein Geld gesammelt.‘ Da hat einer die Tür aufgemacht und (gesagt): ‚Komm mal rein!‘ Die Tür geht auf und derjenige, bei dem ich gesammelt hab, steht drin. Sagt er: ‚Franz, Du warst doch bei mir und hast gesammelt, ich hab Dir 50 Pfennig gegeben‘. ... Von 8 Uhr früh bis Mittag um 2 haben die von sechs Seiten auf mich eingeredet...; ich habe mich rausreden können. Um 2 Uhr durfte ich gehen. Denn sonst wäre ich das zweite Mal reingekommen. Dort unten gab‘s eine Strafkompanie, eine Extra-Kompanie, da waren die Zweitmaligen, da ist es schlecht gegangen. Da sind viele draufgegangen. Ich habe direkt Glück gehabt. Dann ist nichts mehr gekommen, obwohl ich weiter gesammelt hab.“

Kriegsdienst

„... am 1. April 1940 musste ich einrücken als Soldat, als Pionier in München. Wir wurden eingekleidet und am selben Abend mussten wir zum Bahnhof marschieren, in einen Zug einsteigen und wegfahren. Wohin wusste keiner. ... Jedenfalls sind wir in Landau in der Pfalz gelandet. Wir kamen in die Kaserne und mussten am anderen Tag antreten und da hieß es: ‚Ihr seid keine Pioniere sondern Infanteristen. Wir bekamen Karabiner und wurden an der MG 34 ausgebildet. 1940 war der Krieg gegen Frankreich. Von Landau zur französischen Grenze war der Westwall. Aus dem Westwall wurden die aktiven Gruppen herausgezogen, die kamen alle an die Luxemburg-belgisch-holländische Grenze. Und wir Ersatzleute, wir waren 8 Wochen Soldat, nicht länger, wir kamen an eine Linie, der Maginot Linie gegenüber. Wir hatten lediglich Gewehre, ein Maschinengewehr, sonst nichts, keine Kanonen hinten, bis nach Berlin. Wenn die Franzosen das gewusst hätten! Wären wir in Elsass-Lothirngen angegriffen worden, wären wir bis nach Berlin gelaufen. Das konnten die aber nicht wissen. Inzwischen war der Vormarsch in Frankreich da überall, ... da war es aus und wir wurden abgelöst und kamen hinter den Westwall. Dort waren Baracken. Dort kamen wir hinein und bekamen 1000 französische Kriegsgefangene. Die mussten wir bewachen und zur Arbeit führen. Die mussten die Panzergräben zuschaufeln und die Stacheldrahtverhaue wegmachen. Das alles wurde verladen und nach Polen gebracht, schon in Vorbereitung für Russland. Ich war dort bis Dezember. Der Feldwebel hat mich in die Schreibstube bestellt und mir mitgeteilt, dass ich am nächsten Tag entlassen, U.K. gestellt werde.“

Ausklang

Franz Klein wurde U.K. gestellt, weil sein früherer Arbeitgeber einen Auftrag zur Errichtung zweier Bordelle für Fremdarbeiter in Oberschlesien erhalten hat. Dort verbrachte er die meiste Zeit bis 1945. Das Kriegsende erlebte mein Großvater in Österreich. Er ging zu Fuß nach Hause und wurde von der amerikanischen Militärregierung als Stadtrat für die KPD eingesetzt. Bei den letzten Wahlen 1956, erzielte Franz Klein mit 1.443 Stimmen das beste Ergebnis; die KPD war aber nicht mehr im Stadtrat vertreten. Seinen Lebensunterhalt verdiente er bis zu seinem Tod als Betreiber einer Trinkhalle (Kiosk) Ecke Schleißheimer/Friedenstraße. Er engagierte sich für sozial Schwache, gründete den Dachauer Mieterverein und verhalf armen Leuten – Einheimischen und Flüchtlingen – zu Eigenheimen. Ebenso vertrat er Mitglieder des Vereins bei Rechtsstreitigkeiten vor Gericht. Die ersten Gastarbeiter unterstützte er unter anderem bei Behördengängen. In seiner Freizeit sammelte er leidenschaftlich Briefmarken und Münzen. Als Enkelin von Franz Klein und Referentin an der KZ-Gedenkstätte in Dachau liegt mir das Schicksal der NS-Opfer naturgemäß besonders am Herzen. Stellvertretend für alle vergessenen Dachauer Kommunisten möchte ich mit diesem Gedächtnisblatt den Widerstand der damaligen Linken ins Bewusstsein der interessierten Öffentlichkeit rücken. Nach 1945 ins Abseits gedrängt, öffentlich diskriminiert und beschimpft, wurde – und wird bis heute – ignoriert, dass die Kommunisten im Kampf gegen den Faschismus die treibende Kraft waren und für viele Jahre im KZ verschwanden oder ihr Leben verloren. Die hier wiedergegebenen Einblicke stammen hauptsächlich aus einem Interview, das der australische Journalist Tony Barta 1974 mit Franz Klein geführt hat. Die Zitate wurden sprachlich überarbeitet und etwas zusammengefasst. Die biografischen Daten wurden von mir recherchiert sowie aus einschlägigen Archiven, wie KZ-Gedenkstätte, Verein Zum Beispiel Dachau, Stadtarchiv, zusammengetragen. Wertvolle Informationen erhielt ich aus der Familie, nicht zuletzt von meiner Mutter, Maria Leutner, geb. Mang.

Quellen:

Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, Interview mit Franz Klein (
Toni Barta, 1974)
Stadtarchiv Dachau, Meldekarte
ITS Bad Arolsen, Schreiben des BA Dachau vom 28.04.1933
Interview mit Maria Leutner, geb. Mang vom 11.11.2012
Verein Zum Beispiel Dachau
Sammlung Nina Schiffner


Thema: Biographieprojekt (Teilprojekt3)
Autor: Nina Schiffner
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Stadt Dachau

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Gedächtnisblatt Franz Klein

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